Wir, die Industrie und das Internet. Wie Kinder mit neuem Spielzeug ist der Umgang mit all diesen neuen Möglichkeiten ungeduldig, gierig und schonungslos. Trotzdem ist da überall die schreckliche Angst, Fehler zu machen, auch wenn man viel versucht und wenig gelingt. Die digitale Transformation tritt dieser Medienwelt ordentlich in den Hintern, denn eine scheinbar endlos sprudelnde, über Jahrzehnte etablierte Wertschöpfung zerfällt in kürzester Zeit zu Staub.

Die Herausforderungen sind vielfältig und können gar nicht von innen heraus gemeistert werden.

Denn dort sitzen immer noch so viele Berufs-Bedenkenträger an den längeren Wurzelholzdekor-Hebeln und lassen sich dieses gefundene Fressen für die Hängebauchschweine auf ihren Höfen einpacken. Die eigenen Vordenker werden durchs verkalkte System gejagt, bis die Hosen wund sind und die Lust auf Revolution zu Praktikantenfutter verarbeitet wurde. Im Gegenzug werden im Start-Up Supermarkt ein paar Projekte geshoppt, deren User-Experience mindestens so hochwertig ist, wie ihr Freefont-Logo ohne Vokale.

Lets fucking do this

Dabei sind genau diese Herausforderungen der Treibstoff für Erneuerung, die diese Medienwelt so dringend nötig hat. Sie liegen in der Gestaltung, der Ökonomie, der Strategie und besonders in der Übersetzung von Inhalten in diese neue Zeit, für ein Publikum, dass sich einfach nicht mehr als „Generation Irgendwas“ verarschen lassen möchte. Dazu braucht es viel Mut, doch den gibts im Startup-Supermarkt leider nicht dazu. Den muss man halt vorher schon haben.

Aus dem Ausland kommen indessen großen Schrittes die dicken Geschichten, die gehirnspülenden Exits, die total einfachen, aber super-erfolgreichen Startups.

Und genau dann fühlt man sich ein Bisschen wie früher, als die BRD halt einfach nicht in dieser Welt-Liga gespielt hat. Könnte sie heute, tut sie aber nicht. Da sprießen neue Plattformen, Formate, Sender und Produktionen aus dem digitalen Erdreich als wäre es der Menschheit letzter Frühling.

Plötzlich begegnen sich Anbieter als Wettbewerber, die sich bislang nur aus der Distanz betrachteten und eigentlich überhaupt keine Ahnung von einander haben. Selten existiert eine ausgereifte Idee davon, worum es in dieser bunten, digitalen Welt eigentlich noch gehen kann, ja gehen muss. Marken, Medien, Prominente, Dienstleister, Technologie-Anbieter, Start-Ups, Agenturen, Blogger und Geschichtenerzähler prallen zusammen und erzeugen eine Contentwolke, die wie die Ausdünstungen unseres geliebten Eyjafjallajokull eine Menge tun, aber im Prinzip nur unsere Reise stören.

Very weird picture of myself

Wer sind wir nochmal?

Unter all den vintage-gefilterten Selfies erkennt man sich selbst gar nicht mehr wieder und jede noch so kleine, unbelüftete Ecke im Neokortex der mileu-agnostischen Kernzielgruppe wird zugekleistert mit Top-10-Listen, Quiz-Modulen, ”coolen Stories“ und sexy fotografierten Produkten.

Wir sehnen uns nach Qualität. Nach Ehrlichkeit. Und ein Bisschen sehnen wir uns auch zurück in ein Leben, in dem wir uns für all diese Dinge mehr Zeit nehmen konnten. Das geht heute nicht mehr, zumindest nicht ohne eiserne Selbst-Disziplin, doch gerade die ist unserer eigenen Hingabe für die Moderne als erstes zum Opfer gefallen.

Unzählige Optionen für jede noch so irrelevante Entscheidung? Her damit. Sich dann aber trotzdem nicht entscheiden, weil WhatsApp-Bing-Bing, ja ich komme gleich, muss noch kurz das Instagram fertig posten. Äh. Ja, da sind wir. Und auf hohem Niveau drehen wir uns irgendwie immer schneller im Kreis und kriegen ständig neues Zeug gegen Schwindel und Übelkeit. Irgendwann werden wir nicht mehr unterscheiden können, zwischen Nutzer sein und benutzt werden. Zwischen selbstständigem Handeln und dem Handel mit Selbstständigkeit. Zwischen Siri fragen und selber denken. Das gilt gleichermaßen für Kids auf dem Schulhof, Politiker im Bundestag und Chefredakteure in den Hauptquartieren deutscher Verlagsgiganten.

Es gibt verdammt viel Potenzial in diesem Land und es bedarf der autonomen Überzeugung davon, dass wir mehr können, als Autos und Waffen.

Keine andere Gesellschaft dieser Welt hat soviel positiven politischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Wandel gemeistert, in einer solch kurzen Zeit. In dieses Spannungsfeld zwischen vorhandenem Kapital, der Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft und der Bereitschaft zur Nachhaltigkeit gehört dieses Potenzial hinein. Dort kann es sich entfalten und jenen Sinn in diesem Wahnsinn steigern, den wir in unserer ausser Kontrolle geratenen Moderne jeden Tag ein Bisschen mehr vermissen.