Es fing schon am ersten Abend an. Wir haben einen Film im Freiluftkino geschaut, den ich womöglich nikotisiert betrachtet, gar nicht so schlimm gefunden hätte. Doch in meinem Zustand empfand ich den Film als eine cineastische Beleidigung. Ein Film, von dem ich nach 30 Minuten sagte, dass ich lieber einfach nur das Buch dazu gelesen hätte. Ein Coming-of-Age Drama aus End-DDR Zeiten, einzuordnen irgendwo zwischen Wolfgang Herrndorf’s „Tschick“ und einer leeren Schachtel Puffreis ohne Schokolade (Ja, es war „Als wir träumten“). Nun wurde mir langsam bewusst, wie der Suchtfaktor bei Kritikern und Rezensenten Einfluss auf deren Wahrnehmung hat. Die krassesten Rants der Geschichte sind womöglich einfach entstanden, weil der betreffende Autor gerade cold turkey hatte. Die Erkenntniskette riss jäh als ich mit meiner Begleitung in einen heftigen Disput abrutschte. Ich wurde zu dem Monster, das ich vorhersehen konnte, in meinem Badezimmerspiegel an jenem Morgen. Genauer gesagt. Gestern.
Denn sie wissen nicht was sie tun.
Ich erhielt neue Perspektiven auf das Gefühlsleben von Menschen deren unbewusstes, emotional gesteuertes Verhalten ich bislang aufs nur mit innerem Kopfschütteln bedachte. Zum Beispiel Autofahrer, die so unfassbar besessen sind von Vorfahrt und Selbestgerechtigkeit, dass sie lieber einen Unfall oder eine lautstarke, persönliche Konfrontation mit heruntergdrehten Fenstern in Kauf nehmen, als einfach kurz zu bremsen, jemanden vorzulassen oder sich für eine nette Geste zu bedanken. Ich konnte es so realistisch fühlen, dass ich selbst in einer schmalen Strasse einem sich irregulär durchquetschenden, entgegenkommenden Fahrer mit heruntergelassener Seitenscheibe übelste Beleidgungen mit auf den Weg gab, in der Hoffnung, all meinen tiefsitzenden Frust gleich mit stählernen Fäusten an diesem Idioten abzulassen. Er liess sich zum Glück nicht drauf ein. Der Rest des Tages nur ein dumpfes Gefühl von Bedürftigkeit. Nicht nach Liebe, nicht nach Wärme, nein, kalter Rauch sollte es sein. Oder heisser. Oder passiv eingeatmeter. Mir wurde auf einmal klar, dass ein zweiter Tag Entzug in der Umgebung von Nichtrauchern (Büro) tatsächlich deutlich anstrengender ist, als ein Tag umgeben von Rauchern. Da lässt sich die Lunge nicht lumpen und der blauer Dunst macht kleine Umwege in die Blutbahn. Betrug? Entspannt Euch. Es ist noch kein Saubermann vom Himmel gefallen. Die müssen alle erstmal schmutzig werden, im Dreck der Geschichte. Willkommen in meiner Welt.
Denn sie wissen nicht, wie sie es tun.
Das Büro verschluckte mich, wie ein Kleinkind einen eckigen Stein. Gefangen zwischen Monitor und Fenster, eingeklemmt im Nichts einer verlorenen Existenz. Alle Facebook-Kommentare und Likes, die ich mir in den letzten Wochen aufgespart hatte, jetzt konnte ich es rauslassen. Zig Wege zum Kühlschrank, orale Befriedigung, Kompenation durch Nahrung. Ich versprach mir viel zu trinken und ich trank viel. Erst nur Wasser und Vitamin Water, später ging es dann weiter auf eine skurrile Open Air Dinnerparty, bei der ich dann auch den zweiten Tag mit einer vernünftigen Dosis Alkohol beschloss. Eingeschlafen um 1.30 Uhr. Einschlafen bislang kein Problem. Mal schauen was passiert, wenn ich den Alkohol weglasse. Mal schauen ob das überhaupt passiert. Suchtverlagerung. du durchschaubare, miese, kleine Ratte.
Aufbauprogramm des zweiten Tags:
- 2,5 Gläser Wassermelonen Gazpacho mit Gin (die kleine, nasty Schwester von Bloody Mary)
- 1 Flasche Rosé
- Etwas Schnaps, weiss nicht mehr was für einer
- Ein Glas Cremant
- Den Rest habe ich vergessen.