Unsere Wolken sind dicht und dominieren unsere Wahrnehmung.

Sie bestimmen das Grau, das Blau und das Schwarz in unserem Leben. Bei all der Macht und Geschicklichkeit, die uns Wissen und Technologie ermöglichen, sind wir ihnen doch unterlegen und schweben in ihren Realitäten wie Amöben in der Ursuppe. Ein bisschen orientierungslos, jedoch mit dem gemeinsamen Ziel, fit zu sein, für die Ewigkeit.

So sitze ich in meiner Stube und schleife das Blei meines Stiftes auf den weissen Grund. Ich arbeite fest und präzise, als ob ich mir selbst beweisen müsste, dass ich sie ernst meine, diese Worte, mit der Formation meiner rechten Hand geschöpft .

Es ist wieder einmal ein neuer Anfang.

Der Beginn eines neuen Jahres, eines neuen Lebens, eines neuen Verlangens, diese Freiheit auszufüllen, die mir in diesem sonderbaren Leben beschert wurde. Für Manche ist diese Freiheit die dunkle Dystopie einer verwunschenen Vergangenheit, die uns stets vor die Frage stellt, was wir mit diesem so kostbaren Material erschaffen konnten, oder ob wir es nur konsumierten, wie einen Haufen trockener Chicken McNuggets ohne Plastikgabel.
Nein. Ich strebe nach Bedeutung, wie so viele hier. All diese Verschwendung von Zeit, von Ressourcen, von Freiheit, für Orgasmen des Moments, für Augenblicke, die nie wiederkehren, und unser Leben aufwerten, weil es ja um Erfahrungen geht und nicht um Besitz. Als Vater blickt man zudem noch auf andere Aspekte dieser Realität, denn der post-hedonistische Fatalismus wird als Lebensstil-Option mit der Geburt deines Kindes mit jedem Jahr blasser, bis es versinkt im Ozean der Erkenntnis. Und das ist gut so.
Doch welche Bedeutung soll das sein? Als Mitglied einer Gesellschaft, die gegründet ist auf dem Streben nach Reichtum, Wohlstand und Sicherheit, ist man ein Komplize der Verschwendung. Sich dem zu entziehen ist nicht erst seit den 80er Jahren en vogue. Dort wartet diese Sehnsucht nach universeller Einigkeit und Recht und Freiheit wie das Wasser in einem gigantischen Staudamm darauf, herausströmen zu können, um die gewaltigen Burgen der Gier und Ungerechtigkeit wegzuspülen. Ich fange da bei mir selbst an.

Denn wie heisst es so schön, „Be the change you want to see in the world“.

Doch wenn ich in mich hineinschaue, sehe ich nur eine andere Form des Egoismus, verkleidet als puristischer Charakterzug der Großzügigkeit, als wäre es nicht meine Schuld, dass ich in meinem Leben stets alles physische zur Verfügung hatte, das ich für die Karikatur eines mündigen Konsumenten benötigen würde. Ich nehme die Vorlage dankend an und beginne bei mir selbst. Welchen Wandel will ich denn in der Welt sehen, frage ich mich und beantworte die Frage mit: Erfüllung. Und meine eigene Erfüllung soll hier und jetzt beginnen und mit vollen Betontüten gieße ich das Fundament für meine eigene Transformation mit Blei auf dieses Papier, als gehe es darum ein Haus zu bauen, das groß genug ist, für alle heimat-, mittel- und obdachlosen Menschen dieser Welt. Zu allem Unglück werden es jeden Tag mehr.
Ich schreibe mir auf, was ich erreichen möchte. So profan, wie effektiv, beginne ich diesen Weg mit meinem Lebensstil, der bislang so eigenwillig bunt und ungesund war, dass es an ein Wunder grenzt, dass mich die Suche nach einer besseren Version meiner selbst nicht schon längst verlassen hat wie eine Freundin ihren verlogenen BF.
So entstehen Listen und Pläne, Lebenskonzepte und handfeste Ziele, die ich gleich in eine neue Realität meiner Existenz  transformieren möchte. Ich gebe dem Kind einen Namen, es heisst #monotransformation und beschreibt auf ulkig-originelle Weise, woran ich gerade arbeite. An nichts anderem als dem perfekten Ich, um der Welt mit diesem Beitrag zu ihrem eigenen Durchbruch verhelfen zu können.
Doch schon nach einigen Monaten, wenn der erste Six-Pack bereits wieder Geschichte ist und Lucky Strikes (ohne Zusatzstoffe, im Softpack, versteht sich) wieder neben mir liegen, als wären sie nie weg gewesen (und sie waren eine Weile weit weg), stellt sich die Erkenntnis ein, dass es schon verdammt schwer ist, sich selbst vor dem Untergang zu retten. Fit für die Ewigkeit? Nicht mal fit genug, um die 10 Kilometer in unter 40 Minuten zu laufen. „Echt traurig, Bruder“, flüstere ich zu mir selbst und denke nicht mal daran die 41:38 min auf 10km bei ca. 3°C in einem verfrorenen Februar in Berlin mit Stolz zu ehren. Nein, eigentlich mache ich mir nix aus PBs.

Eigentlich mache ich das alles nur, um die eigenen Unzulänglichkeiten zu überwinden, wie Tarzan die Schwerkraft.

Ja, machen wir uns nichts vor. Es ist verdammt schwer, stark zu sein in dieser von Versuchungen verseuchten Gegenwart. Wie wollen fit werden, für die Ewigkeit, wenn wir nicht mal auf die zwei Gläser Wein am Abend verzichten wollen? Wie können wir der Wandel sein, den wir in der Welt sehen wollen, wenn wir nicht mal zehn Tage ohne Schnitzel, Weißbrot, Zucker und Koffein auskommen, während andere sich vermutlich freiwillig von Körperteilen trennen werden, um 10 Tage in Folge an Schnitzel, Weißbrot, Zucker und Koffein zu kommen.
Ja, es ist hart. Hinter jeder verrückten Idee von Erfüllung versteckt sich eine kleine Sucht, ein kleiner Abgrund, eine kleine Falle, die wir uns selbst stellen möchten. Wir fordern uns heraus, mit „Fitness-Challenges“, „Habit-Streaks“ und „Healthlife“-Kapriolen und vergessen dabei, worum es uns eigentlich ging.  Hier sitze ich nun in Tel Aviv, auf der erfolgreichen Seite des gelobten Landes in meinen schönen Kleidern, höre Musik aus perfekten Lautsprechern, greife in die Schale mit giftfreiem Obst und nähre meinen Geist mit der Zeit für geführte Meditation, während nur wenige Kilometer von hier in irgendwelchen Kellern die Tränen durch die Pappwände der Vergessenen tropfen.

Und doch ist es so, dass ich bei mir selbst beginnen möchte, beginnen muss.

Ich möchte meinem Kind Werte vermitteln, die ich selbst so lange missachtet habe und komme mir dabei vor, als versuchte ich meine eigenen Lebens-Fehler zu korrigieren. Ich kleide diese Gedanken in den archaischen Wunsch, das Kind zu dieser Erfüllung zu bemächtigen, die mir selbst bis in alle Ewigkeit  versagt bleiben sollte. Nein, es ist nichts verwerfliches daran, dem eigenen Kind all die Liebe, Zuwendung und Kraft zu geben, die man zu geben im Stande ist und ich werde das auch weiter tun, bis mich dieser Geist verlassen wird. Und ich werde weiter mit meinen eigenen Dämonen kämpfen, als ginge es darum die Ewigkeit so lang wie möglich fernzuhalten, von diesem Geschöpf, diesem Geist der Liebe, denn die Ewigkeit ist nicht wegen mir hier, ich bin ihr genauso egal, wie meinem Kind die Ewigkeit egal ist.
Ich werde weiterhin an meinen Plänen feilen, an meine Werten glauben, um ein Mann zu sein, der seinen Namen verdient. Ich werde auch weiterhin die Ferne aufsuchen, um die Nähe zu ertragen, mich weiterhin neugierig dem Unbekannten zuwenden, um das Bekannte schätzen zu lernen und weiterhin diese Musik hören, die mich fühlen lässt, als wäre die Ewigkeit mein ältester Freund.
Ich werde weiterhin die Seelen, die es in mein Leben trieb, ehren und beschützen. Ich werde ihnen all die Liebe schenken, die ich aufbringen kann, denn hinter all den Wolken, die mein Leben dominieren, ist sie das einzige, was ich zu verschwenden im Stande bin. Sie ist die blaue Farbe, mit denen ich meine Boote bemale, um mich vorzubereiten auf die Flut, denn blaue Boote übersieht das Meer. Und wenn auch du ein Boot brauchst, dann baue ich dir eins. Aus Ehrlichkeit, Phantasie und jenem Blei, dass uns vor dem Ertrinken bewahrt.