Die Zeit ist eine besondere Persönlichkeit. Ich hatte vor, sie etwas näher kennenzulernen.
Sie ist die Grand Dame jeder Revolution, die Herrin über jedes Atom dieses Universums und dennoch eine treue Begleiterin, die sich nicht zu schade ist, einem Durschnitts-Hansguckindieluft wie mir jeden Tag etwas Halt und Struktur anzubieten. Niemand ist so diszipliniert, so konsequent, so ehrlich wie sie und niemand ist ihr je entkommen – zumindest nicht lebendig. Wenn das Leben eine Band ist, ist sie der Drummer. Ich wollte sie etwas näher kennenlernen, sie für mich gewinnen, aber es stellte sich heraus, dass sie zwar mit jedem schon mal was hatte, aber dennoch nicht leicht so zu kriegen war.
Ich bin nicht gerade ein Vorzeige-Buddha, kein Parade-David Allen und erst Recht nicht Eckhart Tolle’s ungewolltes Kind. Ich bin kein Effizienz-Neurotiker, habe leider nicht die Zeit, jahrelang unter Zypressenbäumen zu meditieren und kann auch nicht mit einem ergonomisch gerformten Anti-Ich aufwarten. Doch gerade deswegen will ich sie kriegen. Einfach so, wie ich bin. Ich will schließlich alles. So wie jeder Mensch, der in dieser Zeit lebt, in der halt alles irgendwie immer verfügbar ist.
Als hätte die Ur-Sünde sich in die Unendlichkeit skaliert: Tief hängende, lecker aussehende Äpfel überall. Ich muss nur zugreifen. Reinbeissen. Vergessen.
Doch da steht sie plötzlich neben mir, und lächelt mich an, splitternackt und verlockend wie sie ist. Sie nimmt mich an die Hand. Sie flüstert mir ins Ohr, es sei jetzt Zeit zu gehen. Und ich gehe mit ihr mit. Ich versuche ihr zuzuhören, doch sagt sie nichts. Die Zeit bleibt stoisch. Und stumm. Sie geht ihren Weg und zerrt mich mit.
Etwas später wache ich auf und finde mich in ihrem Bunker wieder, ohne Tageslicht, ohne Liebe und ohne Wärme. Immerhin gab es Wifi. Es schien eine Ewigkeit zu sein, die ich in ihrer Isolationshaft verbringen musste. Und mühsam lernte ich mich daran zu erinnern, was Langeweile bedeutete. Dann schlief ich ein. Tief und fest. Und als ich wieder aufwachte, lag ich in meinem Bett und dachte, ich hätte das alles nur geträumt. Aber dann fand ich diese Notiz mit sieben goldenen Regeln neben meinem Bett auf dem Nachttisch. Die hat sie für mich hinterlassen und dazu geschrieben, es sei okay, wenn ich das mit der Welt teile. Na toll.
Übersicht:
Regel Nr. 1. Zeit ist Kapital.
Regel Nr. 2. Reinige dein Gehirn.
Regel Nr. 3. Drei pro Tag.
Regel Nr. 4. Lerne dein System.
Regel Nr. 5. Takte nach der Eieruhr.
Regel Nr. 6. Bündle die Kommunikation.
Regel Nr. 7. Konzentriere dich.
Regel Nr. 1. Zeit ist Kapital.
Was würdest du machen, wenn du jeden Tag 84.400 $ zur Verfügung hättest? Und egal, wie viel du ausgeben würdest, am nächsten gäbe es wieder 84.400 $?
Regel Nr. 2. Reinige dein Gehirn.
Bevor Sonne, Kinder oder Partner überhaupt Guten Morgen sagen können, hast du dein Smartphone im Gesicht. Der Tag hat kaum begonnen und du entscheidest dich dazu, von fiesen News und irrelevantem Müll in den Tag begleitet zu werden. Falsche Entscheidung. Denn in diesem Augenblick wäscht dir die Welt dein Gehirn, bevor du es selbst tun kannst.
#Meditation
Dein Gehirn morgens zu reinigen ist nicht schwer. Es gibt viele Möglichkeiten das zu erreichen: Der effektivste Weg ist Meditation. Mal für mindestens 10 Minuten Augen schließen, alles loslassen, sich auf den Atem konzentrieren und jeden Muskel des Körpers entspannen, bevor all die Dinge des Alltags, die sich im Unterbewusstsein zu schaffen machen die Kontrolle übernehmen und anspannen. Das hilft, um die vielen Gedanken-Impulse des Morgens auszublenden und erstmal zu sich selbst zu finden. (Ich frage mich oft, was aus mir geworden wäre, wenn ich das mit 20 schon gewusst hätte)
#Aufschreiben
Ein weiteres Instrument ist, nach dem Aufwachen in seinem Kopf aufzuräumen. Alles aufzuschreiben, was in dem Hirn rumort, um Platz zu schaffen, für den Überblick, den Masterplan. Wer es episch mag, schreibt seine „Morning Pages“, die Mindestanforderung ist jedoch eine kleine Liste mit all den Dingen, die zu tun sind, egal ob dringend oder halb so wichtig, egal ob große Idee, Projektaufgaben oder Einkaufsliste. Wichtig und gleichermaßen schwer ist es, das wirklich morgens vor der ersten großen Informationsaufnahme zu schaffen, denn dann hat es den größten Effekt. Für diesen Vorgang braucht man nicht mehr als 5-10 Minuten und es ist erstaunlich, wie viel Einfluss, dass auf unseren Tag haben wird.
Regel Nr. 3. Drei pro Tag.
Jetzt hast du diese Liste, mit all den großen und kleinen Dinge, die du schaffen möchtest. Leg dir gleich ein kleines Notizbüchlein für diese Listen an. (Ich habe mich immer gefragt, für wen Moleskine diese ultra-kleinen Notizbücher eigentlich macht – jetzt weiss ich es). Da schreibst du, auch über denn Tag immer wieder hinein, wenn dir etwas wichtiges einfällt. Ertappst du dich beim Prokrastinieren, dann hilft dir dieses Büchlein zurück in die Spur und erinnert dich an jene Dinge, die für dich zählen. Du solltest wirklich mit dem Notizbuch anfangen und erst dann auf eine App/Software umstellen, wenn du die Grundprinzipien verinnerlicht hast. Sonst verbringst du entweder mehr Zeit damit, Systeme anzupassen, als deine Aufgaben zu erledigen oder du vergisst deine Aufgaben, weil du die Apps vergessen hast, mit denen du sie dokumentierst.
Natürlich reicht die Liste alleine nicht. Du willst filtern. Deswegen darfst du dir jeden Morgen aus deiner Gesamtliste genau drei Aufgaben auswählen, die du an diesem Tag erledigen wirst. Nicht fünf, nicht zehn, sondern drei. Diese drei schreibst du auf eine eigene Seite in deinem Büchlein, hübsch mit Datum und in der Reihenfolge, die am meisten Sinn macht. Hier wendest du unbewusst das Pareto-Prinzip an: Du wirst auf diese Weise mit ca. 20% Aufwand rund 80% deines anvisierten Tagespensums erledigen.
Wenn es gut läuft und du hast schon kurz nach dem Frühstück deine drei Aufgaben geschafft, gibt es zur Belohnung zwei Stunden Buchlesen im Cafe, oder ein Ticket für den Tierpark.
Lerne jeden Morgen deine drei Aufgaben auswendig. Das ist gut für die Disziplin und eine kleine Zwischenmahlzeit für dein Oberstübchen, ein Gehirn-Knoppers, sozusagen.
Regel Nr. 4. Lerne dein System.
Du kannst jede deiner Aufgaben immer genau dann erledigen, wenn du es gerade am liebsten machst oder du es am besten kannst. Dafür wirst du deinen Biorhythmus kennenlernen. Etabliere Mini-Routinen, um überhaupt deinem Biorhythmus erstmal einen passenden Rahmen zu geben. Wann wirst du eigentlich ungefähr immer hungrig, wenn du wann frühstückst? Isst du viel oder wenig? Wirst du danach sofort müde oder erst nach einer Stunde? Was kannst du wann tun, damit es dir immer gut geht? Nach dem Mittagessen ein 10 Minuten Nickerchen? Ein Kaffee danach? 5 Minuten Twitter lesen? Was auch immer es ist, mach dir Gedanken darüber, was am besten ist und institutionalisiere es. Erhebe es zum Stil. Mach es zur Kunst. Wenn du lange genug aufmerksam bist, kennst du deinen Körper genau. Du weißt schon vorher, wann du superfit im Kopf bist und wann du massiv nachlassen wirst.
Zum Beispiel, dass die konzentrations-intensiveren Dinge (Konzepte machen, Termine mit Leuten, Texte schreiben, Dinge entwickeln, halt Sachen für die man volle Konzentration braucht.) genau in jener Phase anfallen, in der man geistig auf der Tageshochform ist. Andere Dinge, wie z.B. die Aufnahme von Information (Dokumente lesen, weiterleiten, E-Mails lesen und beantworten, Dinge sortieren, Recherche, Administrative Aufgaben etc.) machst du besser, wenn du im Oberstübchen ein Bisschen runter schaltest. Dann ist Input statt Output die bessere Wahl. Walweise ist das auch die ideale Zeit fürs Laufen, eine kleine Yoga-Klasse oder ein Bisschen Kung Fu. Okay, ein paar Gewichte gingen auch. Oder ne Runde schwimmen. Oder halt einfach 10 Minuten um den Block gehen.
Wenn es möglich ist, löse dich von herkömmlichen Zwangsarbeitszeiten und mach die Dinge dann, wenn sie für dich am angenehmsten sind. Damit wirst du wesentlich effektiver ist und sparst ungeheuer viel Zeit jeden Tag. Einfach morgens beim sortieren und definieren der Aufgaben darauf achten, dass du drei Aufgaben nimmst und sie in eine Reihenfolge bringst, die mit dem eigenen Rhythmus harmonieren. Klingt schwer, macht aber Spaß. Und eine Menge Sinn.
Regel Nr. 5. Takte nach der Eieruhr.
Eine Eieruhr ist immer ehrlich. 5, 10 oder 20 Minuten einstellen und schon wird runter gezählt. Dann klingelt sie genau, wenn die Zeit vorbei ist. Extrem effektiv. Zack. Zeit vorbei, nächstes Ei. Jetzt stell dir vor, die Eieruhr ist dein Coach. Der würde dir immer nur genau 25 Minuten Zeit dafür, eine einzige Aufgabe zu erledigen. Und egal wie komplex die Aufgabe ist, sie lässt sich stets in kleinere Aufgaben herunter brechen, die dann in 25 Minuten-Zeithäppchen erledigt werden können. Es gibt tatsächlich eine ganze Zeitmanagement-Philosophie hinter diesem einfachen aber höchst-wirksamen Kniff, sie nennt sich die Pomodoro-Technik, weil die Eier-Uhren damals immer aussahen wie Tomaten. Kein Quatsch. Mehr Infos dazu hier: Pomodoro Technique oder in diesem kurzen, lustigen und aufschlussreichen Video.
Diese Pomodoros, wie sich die Zeithäppchen tatsächlich nennen, werden nie hintereinander weggespult. Die Theorie besagt, dass die wenigsten Menschen sich länger als 25 Minuten am Stück auf eine Sache konzentrieren können.
(Ich nutze sogar extra eine kleine Pomodoro-App auf meinem Mac um die Zeit zu stellen und die Uhr beim runterlaufen ticken zu hören, bis das Signal kommt, das die Zeit vorbei ist. Jeder der mich irgendwann mal beim Arbeiten mit laut tickender Uhr im Hintergrund gesehen/gehört hat, kann aufatmen. Ich bin nicht durchgeknallt, sondern genieße diesen monotonen Klang als kontinuierliche Erinnerung an die Aufgabe, die just in jenem Moment zu erledigen gedenke. Dann bin ich in der Zone. Klar macht ich manchmal eine Minute länger, oder bin gar zwei Minuten vorher mit der Aufgabe durch. Das ist ziemlich egal. Wichtig ist nur, dass du nach jedem Pomodoro 5 Minuten Pause machst und nach maximal 4 Pomodoros eine lange Pause).
Die Pausen sind das Wichtigste. In den Pausen kannst du etwas essen, auf Toilette, zum süßen Kollegen oder irgendwas bei Instagram durchliken, Kathrin zurückrufen, die Katzen streicheln, die Spülmaschine ausräumen oder 50 Liegestützen machen.
Du wirst dich auf die Pausen freuen, wie in der Schule. Nach jedem Pomodoro. Und da du nur 5 Minuten Pausenzeit hast, überlegst du Dir zweimal, was du machst. Am sinnvollsten ist es übrigens, in den 5 Minuten aufzustehen und sich zu bewegen, solltest du zu der Gruppe der Schreibtischtäterinnen und Schreibtischtäter gehören. Da machen ein paar Schritte durch den Block, das Großraumbüro oder in die Küche zum Kühlschrank viel her. Das bringt Elan für den nächsten Pomodoro. Wenn du dann also wieder an die drei Aufgaben denkst, die du für den Tag geplant hast, probier mal die Pomodoro-Technik aus, um diese drei Aufgaben dann umzusetzen, wenn du es am besten kannst. Du wirst staunen wie schnell du auf einmal wirst, wie effektiv. Und Aufgaben, die in deiner Vorstellung stundenlang gedauert haben, sind plötzlich innerhalb von nur zwei extra-fokussierten Pomodoros erledigt. Bämm.
Regel Nr. 6. Bündle die Kommunikation.
Du bist immer online, klar. Du könntest jederzeit Kontakt aufnehmen, anrufen, facebooken, whatsappen, texten, pingen, simsen, taggen oder anstupsen. Da das Andere oft auch die ganze Zeit machen, passiert es nicht selten, dass ganz spontan Dialoge entstehen. Immer und überall. Auf einer Facebook-Wall, in einem Spezialistenforum, Im E-Mail Dauerfeuer der Firma, im Chat. Hier und da. Es fällt dir schwer von dieser konstanten Kommunikationsdröhnung herunterzukommen und du bist ganz sicher nicht allein mit diesem Problem.
Du kannst Kommunikation steuern, auch wenn sich das für dich nicht so anfühlt.
Es gibt Zeiten, da bekommst du 100 Nachrichten am Tag und weisst nicht, wo du anfangen sollst.
Der einzig wirksame Schlüssel ist nicht all die Nachrichten zu lesen oder zu beantworten, sondern ein Zeitfenster für Kommunikation einzurichten. Dafür benötigst du meist nicht mehr als einen Pomodoro am späten Vormittag und einen am späten Nachmittag. Denn: antwortest du morgens schon deine Nachrichten, kommt meist direkt schon wieder etwas zurück, bevor du mit den Mails fertig bist und schwups – hängst du in der Messaging-Dauerschleife fest. Kurz vor der Mittagspause zu antworten ist besser, da die meisten Leute dann nicht direkt antworten. Das gleiche gilt für die knapp halbe Stunde Kommunikations-Pomodoro am späten Nachmittag. Kurznachrichten kannst du in den Pausen zwischen Pomodoros lesen.
Das Ergebnis? Du kommunizierst deutlich weniger, aber effektiver. Du filterst raus, was weniger wichtig ist – hier und da übernimmst du etwas ins Aufgabennotizbuch. Solange du nicht gerade in einem Call-Center arbeitest, Promoter bist oder den Helpdesk einer Firma betreust, sollte die Tageskommunikation nicht mehr als eine Stunde pro Tag ausmachen. Es ist verblüffend zu entdecken, wie viel Zeit du den eigentlich wichtigen 3 Aufgaben plötzlich widmen kannst.
Übrigens funktioniert dieser Trick auch mit anderen Dingen. In David Allen’s „Getting Things Done“ (GTD)-Philosophie sind das die Kontexte. Ich ordne fast alle Aufgaben bestimmten Orten (Zuhause, Büro), Situationen (Zwischendurch, Unterwegs) und Leuten (Chef, Partner, Kind) eigene Sortierungsklammern („Kontexte“) eingerichtet. Das hilft mir manchmal, wenn ich z.B. gerade unterwegs bin sehr, da habe ich dann alle Dinge, die ich ohnehin machen/abholen/einkaufen/wegbringen wollte zusammengestellt und bin deutlich effektiver, weil ich nicht nach Hause komme, zwar die Briefe in den Briefkasten gesteckt habe, dafür vergessen habe die Hemden von der Reinigung abzuholen. Klassiker. Ist eigentlich ganz einfach: Zum Beispiel gegen Mittag ein Pomodoro für „Gänge“ einrichten und da dann alles mit dem Kontext „Unterwegs“ erledigen, bevor man sich mit der Freundin ohnehin in der Stadt zum Lunch trifft.
Regel Nr. 7. Konzentriere dich.
Das Prinzip ist einfach, die Umsetzung gar nicht so leicht: Mache immer nur eine Sache zu einer Zeit. Widme 100% deiner Aufmerksamkeit dieser Sache. Besonders beliebt ist diese Regel während der dialog-orientierten Zusammenkunft mit anderen Menschen, in Gruppen/Meetings oder beim Lernen (Schule/Ausbildung/Studium). Zu deiner Beruhigung sei notiert, dass es nie schwieriger war, sich zu konzentrieren, als heute. Deswegen sind die vorhergehenden sechs Regeln auch so gestaltet, dass sie die große Kunst der Konzentration ermöglichen.
Lerne die Zeit, die du hast, wertzuschätzen, entledige dich vom geistigen Schrott in deinem Kopf, definiere die wichtigen Dinge in deinem Leben, die du schaffen möchtest, erforsche dein Biosystem um zu verstehen, wann du wofür am besten konditioniert bist, brich deine Mission in kleine Aufgaben herunter und kommuniziere in vorgesehenen Fenstern, nur, damit du in der Lage bleibst wirklich das zu tun, was du tun willst.
Eine Sache. Mit Herz und Verstand. Mit Kopf und Körper. Mit Augen und Händen. Lesen. Schreiben. Autofahren. Essen. Zuhören. Fußball spielen. Laufen. Tanzen. Yoga. Musik hören. Stricken. Spülen. Fernsehen. Zähne putzen. Fühlen. Freuen. Küssen. Darum geht es. Und um nix anderes.
Viel Erfolg.
In ewiger Treue – deine Zeit.